Jake Epping, 35, ist Englischlehrer in Lisbon Falls, einem Nest in Maine und führt ein eher durchschnittliches Leben. Das ändert sich jedoch schlagartig, als ihm sein Kumpel AL Templeton in der Abstellkammer seiner Imbissbude ein Tor in die Vergangenheit zeigt. Die Regeln sind einfach: Bei jedem Eintritt gelangt man zum 9. September 1958 und bei jeder Rückkehr sind in der Gegenwart genau zwei Minuten vergangen. Außerdem wird bei jedem erneuten Durchschreiten ein kompletter Reset gestartet, sämtliche bei vorherigen Besuchen ausgelösten Änderungen sind hinfällig.
Al hatte einen großen Plan: Er wollte in der Vergangenheit bis zum Jahr 1963 ausharren und den Mord an Präsident Kennedy in Dallas zu verhindern, indem er den Attentäter Lee Oswald vorher tötet. Lungenkrebs im Endstadium zwingt ihn jedoch zur vorzeitigen Rückkehr und er bittet Jake, den Job zu übernehmen. Dessen anfängliche Skepsis wird bald von Neugier besiegt und so stürzt er sich in das ungewöhnliche Abenteuer. Vor der Rettung des Präsidenten muss er aber noch einem Freund helfen und eine Familientragödie verhindern; er reist nach Derry (treue King-Leser wissen, was 1958 in Derry geschah). Doch das ist erst der Anfang, auf Jake wartet nicht nur die Liebe seines Lebens, sondern auch eine Vergangenheit, die sich partout nicht ändern lassen will…
Es gibt im Leben Momente, in denen man innehält, weil einem bewusst ist, dass das soeben Geschehene den Lauf der Geschichte nachhaltig verändern wird. Der 11. September war so ein Ereignis, die Ermordung von John F. Kennedy ein anderes. Es gibt darüber unzählige Bücher, Filme und Dokumentationen; Lou Reed hat ein wunderbar anrührendes Lied geschrieben („The day John Kennedy died“), auch Axl Rose sang: „It was my first memory when they shot Kennedy“. Und nun nimmt sich also der erfolgreichste Schriftsteller der Welt des Themas an.
King wählt dabei jedoch einen anderen Ansatz: Er lässt die Verschwörungstheorien (an die er übrigens im Gegensatz zu seiner Frau nicht glaubt) weitgehend außen vor und schickt seinen Ich-Erzähler in die Vergangenheit um diese zu ändern, mit allen (unbekannten) Konsequenzen. Er hält sich dabei eng an die historischen Vorgaben der Personen und Schauplätze im Dunstkreis von Oswald und verleiht dem Roman somit zusätzlich Authentizität. Natürlich ist auch das Leben in dieser Zeit ein weiteres Hauptthema und dieses Leben ist durchaus zwiespältig, denn neben der unbeschwerten Fröhlichkeit kleinstädtischer Tanzveranstaltungen und nachbarschaftlicher Empathie haben ebenso provinzielle Bigotterie und alltäglicher Rassismus ihren festen Platz. Highlights sind die problematischen Situationen, die bei Zeitreisen auftreten können: Wenn der Held beispielsweise nach seinem (nicht vorhandenen) Handy greift oder durch das laute Absingen obszöner Rolling Stones-Verse für Verwirrung sorgt.
Der Erzählstil ist packend, wie meist bei Stephen King, der Leser ist mittendrin im Geschehen und wird trotz einiger Längen im Mittelteil gefesselt von den Ereignissen. Da der Autor auch eine Reise in die eigene Vergangenheit unternimmt, gibt es ein Wiederlesen mit Protagonisten aus „Es“; Nostalgie pur für die Fans. Obwohl das Thema Zeitreisen schon bei „Langoliers“ behandelt wurde, weist der neue Roman eher Parallelen zu „Dead Zone“ auf, nicht nur weil dort ebenso durch ein politisches Attentat die Zukunft geändert werden soll, sondern auch wegen der nicht ganz unbedeutenden Nebenhandlungen. Und klar: Die Polizei von Dallas bekommt ordentlich auf die Mütze, mehr als bei „Tommyknockers“.
Stephen King wollte dieses Buch eigentlich schon 1972 schreiben und es ist gut, dass er gewartet hat, denn das Thema bewegt immer noch viele Menschen und es ist zu bezweifeln, dass er eine derart komplexe Aufarbeitung und Umsetzung schon in jungen Jahren hinbekommen hätte. Heute kann man mit Fug und Recht sagen, dass dem Meister wiederum ein großer Wurf gelungen ist.